Ob man sich für Sterne interessiert oder nicht – von den Asterismen »Großer Wagen« und »Kleiner Wagen« hat schon jeder Mensch einmal gehört. Mit fast eben solch schlafwandlerischer Sicherheit deuten schon Kinder auf den »Großen Wagen«. Von allen Sternbildern des Nordhimmels ist das Sternbild Großer Bär das berühmteste, ausladendste, sternenreichste und auch ansonsten von Superlativen geprägt. Wie es einem echten »Bären« gebührt, zeugen zahlreiche Mythen aus antiken Zeiten von der Verehrung seiner mythischen Vorbilder.

Das Sternbild Großer Bär in der antiken Kulturgeschichte

Wahrscheinlich waren es die Ausdehnung des Sternbilds, die sternenarme Umgebung der Hauptsterne und die auffallend gute, zirkumpolare Sichtbarkeit, die so vielerlei Legenden um das Sternbild Großer Bär schufen. Zu Zeiten des antiken Sternbildschreibers Ptolemäus wand sich das Sternbild »Drache« um die Heiligen Äpfel der Hesperiden. In jener griechischen Deutung waren die »Deichselsterne« (Alioth, Mizar, Benetnasch) die Äpfel, der Asterismus »Kleiner Bär« die Bewacherinnen (Hesperiden). Noch vor dieser Deutung galt der zweite, größere Asterismus Großer Wagen als »Schenkel des Seth« (Chepesch und Mesechtiu).

Einig über die Entstehung des Sternbilds Großer Bär ist sich dagegen die griechische Kallisto-Sage. Die Nymphe Kallisto wurde von Hera in eine Bärin verwandelt, als sie die Geliebte des Göttervaters Zeus war und bald darauf schwanger wurde. Doch sie hatte lange zuvor Hera gegenüber ein Keuschheitsgelübde abgelegt. Später, so schreiben die »Metamorphosen« des Ovid, erschien eben jene aus Rache verwandelte Nymphe als Sternbild mit den beiden Asterismen »Großer Wagen« und »Kleiner Wagen« am Nordhimmel.

Das Sternbild Großer Bär in jüngeren Schriften

In einigen Stämmen der nordamerikanischen Indianer ist der »Wagenkasten« des Sternbilds Großer Bär eine Bärenmutter. Ihre Jungen folgen ihr in Form der Deichselsterne. Andere Stämme deuten ebenso die Bärin, jedoch Jäger statt der folgenden Jungbären. In Kirgisien ist der »Große Wagen« kein Bär, sondern sieben Wölfen als zusammengefügter Asterismus. Nach der Interpretation der Araber handelt es sich hierbei nicht um ein Tier, sondern beim »Wagenkasten« um einen Sarg. Drei Klageweiber folgen in der Darstellung der Deichselsterne als Trauerzug hinterher.

Pragmatismus prägt die Auslegung des Sternbilds Großer Bär in China. Dort steht für den Wagen das Wort »běidǒu qīxīng« (Löffel). Auch in England nennen viele Schriften den Wagen »Big Dipper« (Große Schöpfkelle). Noch näher am nützlichen Alltag sehen den Asterismus französische Sternbild-Deuter. Für sie ist der »Große Wagen« eine Casserole (Stielpfanne).

Praktisch jedes antike Volk der Erde kennt seine eigenen Mythologien zum Sternbild Großer Bär. Viele von ihnen sind fest mit Legenden um den Polarstern sowie den Asterismen »Großer und Kleiner Wagen«, verknüpft. Zu allen Zeiten beschrieben, besangen und bedichteten Philosophen, Theologen, Politiker und Künstler das bedeutendste Symbol unter den Sternbildern des Nordhimmels.

Das Sternbild Großer Bär in der antiken Philosophie und Kunst

Der Trojanische Krieg war noch im Gedächtnis der Menschen, als Homer sich mit seiner »Odyssee« in die Geschichte der Weltliteratur einbrachte. In einem der Verse des ersten Kriegs- und Heldenepos des Abendlandes besingt er das Sternbild Großer Bär mit den folgenden Worten:

» … die Bärin, die sie auch Wagen mit Namen nennen …«.

In moderneren Kunstschriften, etwa solch berühmter Dichter wie Shakespeare, Lord Tennyson und vieler weiterer, steht das Symbol des »Bären« (oder der »Bärin«, je nach Deutung) sowie die  Asterismen »Großer und Kleiner Wagen« für Orientierung auf Reisen und/oder Ortsbestimmung von künstlerischen Schauplätzen unter dem Nordhimmel.

Aristoteles, einer der berühmtesten Köpfe der Antike, hinterließ das Sternbild Großer Bär in seiner »Metaphysik«, die sich neben philosophischen auch mit theologischen und astronomischen Zusammenhängen auseinandersetzte. Sternbild und »Wagen«-Asterismen sowie der Polarstern am Nordhimmel tauchen im Buch XII (Vergängliches, Kosmologie und Natürliche Theologie) im Zusammenhang mit Erklärungsversuchen auf, die noch von modernen Wissenschaftlern diskutiert und zitiert werden. Wie allen Menschen seit Anbeginn des bewussten Denkens galten auch ihm die Sterne als Symbole für tiefere philosophische Zusammenhänge.

Christentum und »Bärensymbol«

Noch weit vor den Evangelien findet sich im Alten Testament das Sternbild Großer Bär bei Hiob (9.9) neben weiteren Gestirnen wie folgt besprochen:

»Er hat den großen Bären gemacht, / den Orion und das Siebengestirn / und alle Sterne des Südens.«
Als Julius Schiller 1627 seinen »Christlichen Himmelsatlas« veröffentlichte, wurde aus dem Gesamtsternbild eines, das den Menschen die »heidnischen Asterismen«, darunter auch den »Großen und Kleinen Wagen« theologisch vermitteln wollte. J. Schiller beließ es nicht nur bei seiner Neuordnung des Nordhimmels, sondern wollte weltumspannend das komplette »Sternenzelt« mit neuen Symbolen versehen. Das »Boot des Heiligen Petrus« (seine Kreation aus dem »Großen Bären«) ist heutzutage fast unbekannt, ebenso wie der Atlas, den die Wissenschaft als Kuriosum höchstenfalls zu Sammlerzwecken verwendet.